Liebe Leserinnen und Leser,
Beobachter bei der FA(A) 282
Karl Robert Kerner – Skizze eines Lebens
von Walther Kerner Hamburg
Geschichtlicher Rückblick auf die Familie Kerner
Geburt bis zum Ersten Weltkrieg
Wanderer zwischen den Fronten
Bei der FA(A) 282 in Sierenz
Fliegerheim oder Offizierscasino
Franz und Emil
Hundeleben auf dem Flugplatz
Hamsterflug
Rückkehr ins zivile Leben
Zeichen eines neuen Krieges
Albatros D.II
Brequet-Michelin BM.IV 1055
Hannover CL.II C.9280/17
in Auktionen über die Fliegerei werden Fotos angeboten, die aus einem Album herausgelöst oder geschnitten wurden. So gehen nach vielen Jahrzehnten Informationen verloren, die zur Geschichte der auf den Fotos abgebildeten Personen beigetragen hätten.
Gerade an diesen Geschichten sind wir vom Propellerblatt interessiert. Werden nur noch Fragmente überliefert blutet uns manchmal das Herz. Wenn möglich müssen wir Abläufe nachträglich aus Einzelinformationen wieder mühsam zusammensetzen.
Das vorliegende Propellerblatt bietet da in mehrfacher Hinsicht eine rühmliche Ausnahme. Erstens konnten wir einen neuen Autor gewinnen. Zweitens hat uns die umfangreiche Information veranlasst eine Extra-Ausgabe herauszugeben.
Künftig werden wir bemüht sein, jährlich eine Extra-Ausgabe herauszubringen, die ein spezielles Thema behandelt. Um die Extra-Ausgabe optisch von der Standard-Ausgabe unterscheiden zu können, wurde das Erscheinungsbild geändert. Die Extra-Ausgabe erscheint mit einem roten Logo auf der Titelseite.
Ihre IGL
Wie es zu diesem Artikel kam
Erstaunlich, welche wundersamen Wege zu so einem Artikel führen: Da sitzt in Bayern ein Mensch. Seine Nachbarin, eine alte Dame, zeigt ihm ein Album ihres Mannes aus dessen Soldatenzeit im Ersten Weltkrieg. Der Mensch, beschließt, beiden ein Denkmal zu setzen und widmet ihnen die Internetseiten „Flugbeobachter“ – Die Rede ist von Walter Werner.
Durch Zufall sitzt ein weiterer Mensch in Hamburg, der gelegentlich durchs Internet streift. Er findet diese Internetseiten, begeistert sich ebenfalls und steuert ein paar Bilder bei, die ihm sein Vater Karl Robert Kerner hinterließ. Daraufhin meldet sich u.a. Prof. Dieter Gröschel aus Virginia. Aus der elektronischen Korrespondenz entsteht eine Freundschaft. Ihm schickte der Hamburger die Militärdienstbescheinigung seines Vaters. Ein Wunder geschah: Nach ein paar Wochen lieferte der „Mann in Virginia“ eine mehrseitige Ausarbeitung über das militärische Leben Karl Robert Kerners.
Karl Robert Kerner stammt aus einer der sechs unabhängig existierenden Kerner-Familien. Diese kann bis in die Zeit zurückverfolgt werden, in der die Türken vor Wien standen. Ein bisschen später entdeckte Columbus für die Europäer Amerika.
Schauplatz damals: Flatschach, der Lungau – der Teil des Salzburger Landes jenseits der Tauern. Karl Robert Kerners Familie hängt von Anfang an der Reformation Luthers an, sind also Ketzer – ein Grund, die Heimat zu verlassen. Karl Robert Kerners Familie zieht nach Württemberg. Dort bleibt sie 2½ Jahrhunderte bis Kerners Urgroßvater Johann Georg sich für die Französische Revolution begeistert. Er geht nach Paris und beschließt sein kurzes, aber wildbewegtes Leben in Hamburg. Sein Sohn Georg Reinhold ist als Ingenieur im Hafen- und Wasserstraßenbau tätig. Einer seiner Söhne, Karl Friedrich Kerner, der Vater Karl Robert Kerners, tritt in die Fußstapfen seines Vaters.
Karl Robert Kerner wird zusammen mit seinem Zwillingsbruder Reinhold Otto am 5. April 1891 im Hause seiner Eltern, in der Paulstraße 46 in Rostock, geboren.
In diesem Elternhaus verlebt Kerner im Kreise zahlreicher Geschwister trotz frühen Todes sei-ner Mutter eine unbeschwerte, erlebnisreiche Jugendzeit. Im Hause gehen interessante Gäste ein und aus. Besonders turbulent wird die Szene stets bei den Treffen der Wingolfiten, einer studentischen Verbindung.
Die Zwillinge sind in der ganzen Familie so be-rühmt wie berüchtigt für den Unfug, den sie trieben und die Witze, die sie ausheckten. Viele waren nur durch ihre verblüffende Ähnlichkeit dieser eineiigen Zwillinge möglich. Hatte einer der beiden frei, so war den Vorgesetzten nie klar, wen von den beiden er vor sich hatte. So tauschten sie ihre Dienstzeiten nach Belieben.
Kerner rückt am 2. August 1914 beim Infanterie-Regiment Graf Bose (1. Thüringisches) Nr. 31 ein, welches zum IX. Armeekorps der 2. Armee gehörte. Seine 18. Infanterie-Division versam-melt sich in Aachen. Von dort ging es nach Belgien. Kerner nahm an der Eroberung von Lüttich teil und wechselte zur 1. Armee, wo er den Stellungskrieg an der Aisne erlebte.
Am 2. Januar 1915 wurde er nach Ostpreußen zu dem innerhalb der 8. Armee neugebildeten XXXX. Reserve-Korps versetzt. Im Februar folgte die Winterschlacht in Masuren.
Im März 1915 erhält Karl Robert Kerner das Mecklenburg-Schweriner Militär-Verdienstkreuz II. Klasse und wird im April zum Unteroffizier befördert. Teilgenommen hat er zwischen Februar und September an verschiedenen Gefechten, Stellungskämpfen, der Belagerung von Kowno und den Schlachten am Njemen.
In diese Zeit fällt seine Gefangennahme. Leider ist kein Bild erhalten, sondern nur die Geschich-te, mit welcher List er ihr wieder entkam.
Für viele Lebensjahre Kerners ist die Quellenlage günstig, d.h. wir verfügen über eine Unzahl von Dokumenten, die eine Rekonstruktion des Lebens erleichtern. Für die Militärdienstzeiten des Ersten Weltkriegs liegt eine von Dieter Gröschel entschlüsselte Liste vor. Aus der Zeit in Sierenz gibt es in unserer Familie nur sehr wenige Fotos. Das Gros der Aufnahmen verbrannte beim Bombenangriff auf Hamburg Ende Juli 1943. Durch glückliche Umstände kann ich auf zwei Fotoalben zurück greifen, deren Besitzer ebenfalls der FA(A) 282 angehörten. Da war zum einen der Beobachter Berthold Grönhagen und zum anderen der Flugzeugführer Heinrich Möller. Grönhagen war wie mein Vater Beobachter und mit meinem Vater befreundet. Auf das Album Möllers und dessen Sohn Jens-Uwe Möller machte mich Walter Waiss aufmerksam. Dem Sohn bin ich für das Einscannen des Albums seines Vaters sehr dankbar.
Ich meine, dass das Offizierscasino in einem charmanten Altbau untergebracht war. Dieser Bau ziert auch die Mitte des Kartons, der dem Grönhagen-Album beiliegt.
Später wurde ein sehr viel größeres Fliegerheim direkt am Flugplatz Sierenz gebaut. Dies geschah wohl erst im Jahre 1918, nachdem mit Hauptmann Protzen von Schramm ein neuer Führer zur Abteilung gestoßen war.
Das Gebäude war ein Holzbau, der nach seiner Fertigstellung nur noch wenig an eine Baracke erinnerte.
Der Bau muss gerade im Rohbau fertig geworden sein und ist äußerlich mit Dachpappe verkleidet. Die Verkleidung trägt noch das ursprüngliche Schwarz-Grau. Links stehen offensichtlich Deutsche, die am Bau beteiligt waren, rechts sind Kriegsgefangene zu erkennen.
Über dem Haupteingang prangt ein Schild „Fliegernest Protzen“. Dieses Schild hat dort offensichtlich nur ganz am Anfang gehangen und wurde sehr schnell wieder entfernt. Wahrscheinlich gefiel Hauptmann Protzen von Schramm die Doppelbedeutung von „Protzen“ nicht.
Die meisten „Franz“ (Beobachter) bevorzugten ganz bestimmte „Emil“ (Flugzeugführer), so ergab sich eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden. Solche Paare bildeten Grönhagen und Gfrör sowie Kerner und Prautzsch. Gegen Kriegsende wurde diese Praxis nicht mehr durchgängig eingehalten. Häufig mussten die Beobachter, die während des Fluges dem Flugzeugführer vorgesetzt waren neue und unerfahrene Flugzeugführer einweisen, sie an den Fronteinsatz gewöhnen und auch ihre Flugtechnik bewerten. Gute Flugzeugführer ließen sich häufig zu den Jagdfliegern versetzen. Bei der FA(A) 282 herrschte somit auch ein ständiges Kommen und Gehen der Flugzeugführer. Auch Beobachter kamen und gingen.
Kurz nach Kerners Eintreffen bei der FA(A) 282 dürfte das Bild der Tafelrunde auf der nächsten Seite entstanden sein. Die Vermutung liegt nahe, dass der 2. Geburtstag (30. Juni 1915) der FFA 68 gefeiert wurde, aus welcher die FA(A) 282 hervorging. Dann wäre die Aufnahme an einem Sonnabend entstanden.
Hunde spielten vielleicht bei allen Truppenteilen eine Rolle. Bei den Fliegern scheinen diese Kameraden jedoch unverzichtbarer Bestandteil gewesen zu sein.
Vor der Maschine stehen von links Beobachter Lt. Grönhagen und sein Flugzeugführer Uffz. Gfrör,
vermutlich mit ihren Hunden vor ihrer Hannover CL.II C.9280/17.
Mit der Lebensmittelversorgung hat es wohl gegen Ende des Krieges nicht mehr so gut geklappt. Allerdings wohnten die Flieger in ländlicher Gegend. Eigentlich hätte wohl genügend Nachschub vorhanden sein müssen. Dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein, da mehrere Hamsterflüge dokumentiert sind:
Mein Vater wurde zu einer Strafe von drei Goldmark verurteilt wegen „Unbefugten Transportes eines Hammels mit dem Flugzeug“ aus dem rechtsrheinischen Gebiet zur FA (A) 282 (Sierenz) - Leider ist das Original des Kriegsgerichtsurteils noch nicht wieder aufgetaucht. Ich fand aber in seinen Unterlagen einen Hinweis auf das Urteil (siehe Schreiben an die Wehrbehörden auf der vorletzte Seite in diesem Heft).
Es existierte ein Bild auf welchem der Hammel mit Fliegerbrille auf dem Beobachtersitz Platz genommen hat. Leider konnte das Bild, das immer wieder Furore machte, von mir bislang noch nicht wieder aufgespürt werden. So hier nur ein Ersatzbild – Ein weiterer Hammel in einer anderen Maschine, ohne Fliegerbrille.
Karl Robert Kerner fährt nach Hamburg und wohnt dort bei Familie Hahn. Sie sind Wingolfiten, eine studentische Verbindung, der Kerners Vater angehörte. Hahn ist Pastor von Hamburg-Eilbeck. Seine Frau Elisabeth schreibt:
„Seit Sonntag wohnt Karl bei uns. Er ist heute bei Collasius eingetreten. Schwer wird es ihm, seine geliebte Fliegerei aufzugeben. Aber allmählich musste er ja wieder in seinen alten Beruf zurück. Am 1. 2. zieht er in ein eigenes Zimmer. Er ist rührend bescheiden. [...]“.
Collasius? – Ganz einfach: Er hatte inzwischen – wie sein Zwillingsbruder auch – eine der 5 Collasius-Schwestern kennen gelernt und sich mit ihr verlobt. So hatte mein Großvater allen Grund, meinen Vater, in seine Firma aufzunehmen, ihn nach kurzer Zeit zum Prokuristen und dann zum Teilhaber zu befördern.
Am 7. März 1920 stirbt Kerners Vater Karl Friedrich Kerner. Damit ist für Karl Robert Kerner die Jugendzeit endgültig zu Ende. Das Haus seiner Jugend wird nunmehr nur noch von seinen drei unverheirateten Schwestern bewohnt.
Am 11. Januar 1937 erhält mein Vater einen „Militärfragebogen“. Offensichtlich hat man vor, ihn militärisch zu reaktivieren. Die ersten Militär-Übungen laufen in Stendal (Juni bis August 1937). Am 18. Oktober erhält mein Vater seinen Gestellungsbefehl und wird am 1. November zum Oberleutnant der Landwehr befördert.
Im Frühjahr des Jahres 1937 hatte mein Vater endlich einen Wagen angeschafft. Es war ein Opel Kadett. Dafür wurde eine Garage im Garten gebaut und eine Garagenauffahrt angelegt. Das Bild auf der nächsten Seite zeigt den Zustand nach den Umbauten.
Die Geusen, eine Jugendgruppe, der mein Bruder Karl angehörte, war längst in die HJ integriert worden. Meine Schwester beim BDM gelandet und mein Bruder Ernst im D-J.
Im Jahre 1938 wird Kerner zu weiteren Militärübungen gerufen und am 1. März 1939 zum Hauptmann der Landwehr befördert.
Am 9. März 1938 werde ich, Walther Kerner, Jüngster der Kernerfamilie geboren.
Am 4. September 1939 wird der älteste Sohn Karl Otto Jan Kerner eingezogen.
Flugzeugführer Lt. Robert Dycke, JaSta 16, vermutlich in Sierenz, Februar 1917
© Walter Werner 2006
Flugzeugführer SLt. Eugene Montaron und Beobachter
Adj. Macquet, Esc. BM119, Sierenz, Oktober 1917
© Walter Werner 2006
Lt. Grönhagen und Uffz. Gfrör, Sierenz, Februar 1917
© Walter Werner 2006
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